Mit Naturführern unterwegs in Venedig und seiner Lagune
Die Lagune von Venedig ist eines der ausgedehntesten Feuchtgebiete Europas und biologisch gesehen ein produktives, aber auch ein sehr instabiles Ökosystem. Sie bewahrt heute noch wunderschöne Landschaften, wie die weitläufigen Salzwiesengebiete (Barene) und die ausgedehnten Schilfgürtel an den Flussmündungen, die wattähnlichen Lagunengründe (Velme), die nur während der Ebbe auftauchen, und die vielen kleinen, oft unbewohnten Inseln, die Raum für eine besondere Pflanzen- und Tierwelt bieten. Zahlreiche Vogelarten nutzen die Salzwiesen als Nistplätze bzw. als Überwinterungsgebiet oder als Rastplatz während der Vogelwanderungen. Damit bietet dieses einzigartige Feuchtgebiet das ganze Jahr über Gelegenheit zum Birdwatching. Die Lagune von Venedig ist ein europäisches Flora-Fauna-Habitat (FFH) und gehört zu den EU-Vogelschutzgebieten im Rahmen von Natura 2000.
Je nach Jahreszeit lassen sich Seiden-, Silber-, Grau- und Purpurreiher auf den Salzwiesen beobachten, während die nachtaktive Rohrdommel, Wasserrallen, Teichhühner, Eisvögel sowie die kleine Rohrammer, der Teichrohrsänger und die majestätische Rohrweihe die Schilfgebiete bevorzugen. Blässhühner und etliche Entenarten bevölkern die offenen Wasserflächen. Die charakteristischen Stelzvögel und seit einigen Jahren eine Kolonie von Flamingos suchen ihr Futter im flachen Brackwasser der Fischfarmen. Die Anzahl der Kormorane hat zum Leidwesen der Fischfarmer stark zugenommen. Sie haben es auf die Meeresfische abgesehen, die im Frühling in die Lagune kommen und im Herbst zur Fortpflanzung wieder aufs offene Meer hinausziehen. Einige dieser Fische – Meeräschen, Goldbrassen und Seebarsche – werden zusammen mit dem Aal auch in den weitläufigen Fischfarmen (Valli) der Lagune gezüchtet.
Charakteristisch für die Flora sind hingegen die üppigen Schilfgürtel an den Flussmündungen sowie die Halophyten-Vegetation der Salzwiesen. Die Salz liebenden Halophyten sind wahre Spezialisten in der als Lebensraum schwierigen Gezeitenzone, die durch Schwankungen im Wasserstand und Salzgehalt geprägt ist. Diese Pflanzen können überschüssiges Salz ausscheiden oder in den Blättern ablagern und Süßwasser in besonders dickfleischigen Blättern speichern. Eine eher unerwartete Vegetation findet man in den Naturschutzgebieten Alberoni auf dem Küstenstreifen Lido und Ca’ Roman auf Pellestrina. Strandhafer, Meeresschneckenklee, Stranddisteln und Tamarisken besiedeln dort die Dünen, während dahinter ein regelrechter Küstenmischwald gedeiht, der auch interessante Feuchtbiotope beherbergt. Heute ist das Gleichgewicht der Lagune in Gefahr. Auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene werden Problemlösungen diskutiert, insbesondere bezüglich der zwei Häfen (der Industriehafen von Marghera und der Kreuzfahrt-/Fährhafen Venezia Marittima). Doch auch der enorme Anstieg der Tagesbesucherzahlen in der Altstadt von Venedig will gebremst bzw. zumindest organisiert und kanalisiert werden. Der Ruf nach verantwortungsvollem Tourismus wird immer stärker. Dafür setzt sich auch die UNESCO ein. Venedig und seine Lagune sind seit 1987 UNESCO Weltkulturerbe. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat die Lagune von Venedig über 60 % ihrer Salzwiesen durch Erosion verloren. Verantwortlich dafür werden Motorboote und Schiffe, Subsidenz (Lagunenbodenabsenkung) und gleichzeitiges Ansteigen des Meeresspiegels gemacht. Umweltprojekte zum Schutz und zur Rückgewinnung einiger wichtiger Abschnitte der Lagunengründe und Salzwiesen, u. a. verschiedene EU-LIFE Programme sollen helfen. Nach der Hochwasserkatastrophe von 1966 sind viele Sondergesetze für Venedig erlassen worden, verknüpft mit Finanzierungen von sehr unterschiedlichen Maßnahmen: z. B. Küsten- und Dünenschutz, Sicherung der Wasserfront der Industriezone und die Möglichkeit der Schließung der drei Hafeneinfahrten bei Hochwasser. Nach dem 2. katastrophalen Hochwasser vom 12.November 2019 mit 189 cm, wurde im Herbst 2020 erstmals das vieldiskutierte Großprojekt mit mobilen Fluttoren M.O.S.E., mehrmals erfolgreich hochgefahren und hat damit die Stadt vor den Fluten geschützt. Wer die lagune und die stadt vertieft und auf ausgefallene Weise erkunden will, kann sich an qualifizierte und geprüfte Naturführerinnen und reiseleiterinnen wenden, die seit 30 Jahren in venedig umweltverträglichen, nachhaltigen Tourismus betreiben.Während der deutschsprachigen führungen wird besonders auf historische, naturkundliche und umweltpolitische Aspekte eingegangen…
Ein Gastbeitrag von Martina Raehr im Reiseführer: „Venedig“, Sabine Becht und Sven Talaron, Michael Müller Verlag Erlangen, 1. Auflage 2021.
Nachtrag: Inzwischen, seit 1.August 2021 dürfen endlich die großen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr an der Hafeneinfahrt Lido durch den Canale della Giudecca, an San Marco vorbei in den Hafen fahren. Sie sollen jedoch vorübergehend im Industriegebiet Marghera anlegen, in jeder Hinsicht eine problematische Lösung.